Fachaustausch zum Thema

'Mit Betroffenen übers Sterben reden'

 

 (geführt von Beatrice Weber-Wiki)

 

 

Mit diesem Thema werden wir in der Begleitung von Menschen an ihrem Lebensende täglich konfrontiert und es ist ein Balanceakt, wie weit wir mit ihnen das Thema des Sterbens oder nahenden Todes ansprechen sollen und wo es heisst, sich zurück zu nehmen. Mit Betroffenen über das Sterben reden ist ein anspruchsvolles Thema, weil die Bereitschaft, es anzusprechen, nicht immer gegeben ist.

 

 

1. Wünsche und Fragen der Teilnehmenden, über die wir gemeinsam diskutieren.

 

  • Wie gehe ich das Thema an, wenn der Betroffene die Situation nicht wahrhaben will?

  • Mit dem Schicksal hadern bis zum Schluss. Unglücklich sterben zulassen.

  • Wie viel gebe ich mich persönlich ins Gespräch ein? Darf ich dem Betroffenen meine  Wahrnehmungen zumunten? 

  • Darf ich hoffen?

 

Wir sind uns einig, dass wir den Betroffenen nichts aufzwingen und ihnen ihre Hoffnung nicht nehmen dürfen. Wenn er/sie das Thema Sterben nicht aufgreifen möchte, es vielleicht verdrängt, nicht darüber reden noch es wahrhaben will, müssen wir dies respektieren. Hierbei hilft die Frage: ist es mein eigenes Bedürfnis oder das des Patienten, über das Sterben mit ihm zu reden? Gewisse Menschen hoffen bis zum Schluss, dass es in ihrem Krankheitsverlauf noch zu einer Wende kommt, auch wenn sie wahrscheinlich das Gegenteil in ihrem Innersten spüren. So erleben wir immer wieder einmal, dass Patienten bis ans Ende mit ihrem Schicksal hadern und es nicht gelingt, sie über das Gespräch zu begleiten. Es scheint, dass sie unglücklich sterben. Nicht immer ist das Gespräch jedoch die beste Wahl. Jemand, der nicht über das Sterben reden will, kann auch ohne Worte durch stille Anwesenheit unsererseits, mit Berührung - bspw. über die Hände - oder anderen wohltuenden Methoden begleitet werden. Es ist für uns oft schwierig unsere Ohnmacht auszuhalten und darauf zu vertrauen, dass der Weg, den der Betroffene für sich einschlägt, der Richtige für ihn ist, auch wenn wir vielleicht anderer Meinung sind. Unsere Gesprächsgruppe bestätigt, wie wichtig es für die Betroffenen ist, dass wir ihnen ihre Autonomie und Selbstbestimmung lassen.

 

Im Gespräch mit Betroffenen dürfen durchaus eigene Gedanken und Vorstellungen über das Sterben und den Tod eingebracht werden, voraus gesetzt, dass sie als die eigenen angeboten werden. Der Betroffene kann sie ablehnen, wenn diese für ihn nicht seiner Wirklichkeit entsprechen - oder aber es entsteht eine stimmige, tragende Diskussion.

 

 

2. Wir machen uns Gedanken, welchen Sinn es hat, über das Sterben zu reden

 

  • Die Patientenverfügung erstellen, vervollständigen  Wünsche formulieren für den letzten Abschnitt und was ich noch geregelt haben möchte (Vorsorgeauftrag, Begräbnis, etc.)

  • Über Ängste/Ungewissheiten reden 'Was kommt nachher?'

  • Über die Ängste sprechen, die beispielsweise belastende Erfahrungen eines sterbenden Menschen ausgelöst haben
  • Die eigenen Vorstellungen mitteilen

  • Abschied nehmen

  • Wünsche erfüllen

  • Über das Sterben reden öffnet Raum um über das Leben zu reden (und umgekehrt)

  • Würdigung des gelebten Lebens, Ressourcen sehen

  • Übergang gestalten

 

Wir erleben in unserer Tätigkeit in der Palliative Care, wie wichtig das Gespräch mit unseren Patienten ist. Sei dies, weil noch etwas geklärt werden will, sei es um der Angst vor dem Tod gemeinsam zu begegnen, der Einsamkeit zu entfliehen, Sicherheit zu vermitteln, das gelebte Leben der Betroffenen zu würdigen. So gilt es nicht primär über das Sterben zu reden, als viel mehr über das, was war, was für den sterbenden Menschen schön war, woran er sich gerne zurück erinnert, was ihm wichtig war und ihm in seiner Lebenssituation im Hier und Jetzt vielleicht zu etwas Leichtigkeit und Würde verhilft. Sinnvoll kann sein, dass Missverständnisse im Beziehungsnetz des Betroffenen noch geklärt werden, Unaufgeräumtes noch geregelt wird. Durch diese Form des Gesprächs kann es dazu kommen, dass jemand dann von sich aus das Thema des Sterbens anspricht und darüber reden will. Wir sind uns einig, dass wir ein Gespräch nicht erzwingen dürfen, auch wenn wir die Not zu erkennen meinen. Es entsteht auf einer Vertrauensbasis und aus einem günstigen Moment oft spontan heraus.

 

 

3. Input über die Dignity-Therapie – Sterben mit Würde

 

Eine Forschergruppe unter der Leitung des kanadischen Psychiaters Chochinov hat sich mit der Frage auseinander gesetzt, weshalb viele alte Leute sterben wollen. Die Gruppe fand heraus, dass es dem Menschen Angst bereitet, die Würde am Lebensende zu verlieren, deshalb würden sie lieber sterben wollen.

In Würde zu sterben ist ein Wunsch, der neben der Linderung von Leiden den inneren Frieden und gute Beziehungen zu den wichtigsten Bezugspersonen beinhaltet. Das Gefühl, seine Würde verloren zu haben, keinen Sinn mehr zu sehen und nur noch eine Belastung für andere zu sein, verstärkt oftmals den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe.

Ein grosser Wunsch des Menschen ist es, Werte, Eigenschaften und Erfahrungen an die Nachkommen weiterzugeben und so die eigene Würde zu erhalten. Die DT spricht hier von Generativität.

Die Dignity-Therapie (Würdezentrierte Therapie) soll bei Patienten das Gefühl für die eigene unverlierbare Würde auch in der letzten Lebensphase stärken. Sie ist eine Form von Biographiearbeit. Anhand eines Fragebogens erarbeiten die Patienten zusammen mit einem Therapeuten, wie sie in Erinnerung behalten werden können. Dieses Gespräch wird auf einen Tonträger aufgenommen, transkribiert, editiert und dem Patienten als Dokument zur weiteren Verfügung übergeben.

 

Für uns ist das Wissen um diese Form von Therapie wichtig, weil sie uns darin bestärkt, wie wertvoll ein würdevoller und die Autonomie unterstützender Umgang mit unseren PatientInnen ist und die eine oder andere Frage aus dem Fragebogen allenfalls hilft, ins Gespräch mit ihnen zu kommen.

 

Zur Frage „Ist es defizitorientiert über das Sterben zu reden?“ lässt sich sagen, dass die Frage: ‚was ist noch möglich’ ressourcenorientiert und ‚was kann ich nicht mehr’ defizitorientiert ist. So wirkt es motivierend, den Fokus auf die noch vorhandenen Ressourcen zu richten, was dem sterbenden Menschen zu Würde verhilft. Das Thema der Dignity Therapie, nämlich über das gelebte Leben zu reden und worauf der sterbende Mensch stolz ist, stärkt die Ressourcen im Hier und Jetzt. Was kannst du noch, wie gelingt es dir, und nicht defizitorientiert, was kannst du nicht mehr, was fehlt.

 

 

4. Fazit und Erfahrungen der Teilnehmenden:

 

Wir reflektieren, dass es wichtig ist, sich genügend Zeit für ein Gespräch zu nehmen. Es braucht innere Bereitschaft, Ruhe, Aufmerksamkeit, Neugierde, Vertrauen, eine stimmige Beziehung, gemeinsam lachen können, Humor. Die spontane Bereitschaft zu einem Gespräch soll nicht auf Grund mangelnder Zeit unterdrückt werden müssen, daher bestärken wir uns gegenseitig, dass bei Bedarf einer Kollegin anstehende Aufgaben delegiert werden dürfen.

Weiter respektieren wir, dass Schweigen seinen Platz haben soll und wir auch nicht auf alles eine Antwort oder Lösung zu haben brauchen. Rückfragen (wie, wo, was, wann, wodurch) sind ein gutes Hilfsmittel, um richtig zu verstehen und nicht von uns auf den Patienten zu schliessen. Damit unterstützen wir den sterbenden Menschen in seiner Denk- und Handlungsfähigkeit und darin, seinen Gefühlen in allen Facetten Raum zu bieten - Trauer, Freude, Wut, Angst.

 

 

Zu guter Letzt:

 

Übers Sterben reden hilft, das eigene Leben bewusster zu leben.

 

 

 

Buchtipps:

 

Peter Gross: Ich muss sterben

Elena Ibello, Anna Rüffer: Reden über Sterben